Fabian Czolbe

Dreh- und Angelpunkte. (2. Fassung)

Mobiles suggerieren nicht nur Bewegungen, sie fangen sie ein und setzen sie immer wieder überraschend frei. So ist es die Rotation um unterschiedliche Achsen, die den Raum durchmessende Gesamtstruktur, sind es Assoziationsketten oder die Blicke wie auch Pfade des Betrachters, auf denen er das Mobile durchstreift. Wegweiser und Schaltstellen dieser Raumkonstellationen sind immer wieder die Dreh- und Angelpunkte der Verbindungslinien. Sie zeigen die Gewichtung an und setzen die Eigenbewegung sowie die Bewegung des Betrachters in Gang. Eine unvorhersehbare und sich immer verändernde Rhythmik erfasst den Raum auf unterschiedlichen Ebenen. Dabei werden Mobiles nicht selten zu "Resonanzkörpern", die Impulse der Umwelt aufnehmen und in eigenwillige Bewegungsketten überführen.1

Vielschichtige Überlagerungen

William Engelens Einzelgänger (2012) ist mehr als ein Mobile, es ist genau genommen ein ganzes Ballett. 12 voluminös ausgefüllte Hosen des Künstlers hängen als Elemente des Mobiles in unterschiedlichen Positionen und Bewegungsstadien im Raum. Scheinbar warten sie auf einen Impuls, um in ihre Choreografie einzusteigen. Einmal in Bewegung versetzt, fangen die Körper an zu tanzen. Diese sind in William Engelens Mobiles zwar statisch voluminös, verweisen als Momentaufnahmen aber zugleich auf komplexe Bewegungsabläufe. Dazu klingen aus vier um das Mobile verteilten Lautsprechern Rhythmen, Melodien und Klänge, die je nach Dynamik und klanglicher Phase das Hosenballett im Gleichschritt marschieren, minimalistisch repetitiv tanzen oder elfenhaft durch den Raum schweben lassen. Sie treten ein in einen Dialog mit polyrhythmischer Trommelmusik, die sich bis hin zu nicht differenzierbaren Klangmassen aufschichtet, oder mit tonal minimalistischen Xylophonklängen, die sich zeitweilig in harmonisch dichten, orgelähnlichen Komplexen verlieren. In der Auseinandersetzung mit vereinzelten Tönen, die sich unvorhersehbar zu einer traumhaft wirkenden Klangkette aneinanderreihen und immer wieder durch blitzartige Elemente aufgebrochen werden, oder in der Auseinandersetzung mit rauschhaften Schwebungen, die durchschnitten von metallisch schrillen Klängen zunehmend in beißende Schwebungen übergehen, scheinen die Einzelgänger durch eine surrealistische Traumwelt zu treiben.

Das Zusammenspiel von Struktur, Bewegung und Klang deutet Vieles an und gibt Einiges Preis. William Engelen machte in mehreren seiner Arbeiten bereits deutlich, dass ihn das Biografische wie etwa der Tagesablauf einer Musikers (Verstrijken voor ensemble, 2008) interessiert. Auch wenn der Einzelgänger eher Nähe zu einer Fashion-Show andeutet, schließlich entstand die Arbeit im Rahmen eine Modeausstellung des Centraal Museums in Utrecht, eröffnet sie doch einen ganz privaten Blick auf den Künstler. Vielleicht kann das Mobile hier, bewusst oder unbewusst, als Portrait eines bewegten Lebens erkundet werden. Auch wenn es nur ein Ausschnitt des Künstlerlebens ist, drängen sich bspw. Fragen nach den Situationen in den Vordergrund, welche die Hosen William Engelens durchlebt haben mögen. Diese Assoziationskette unterstützt oder durchbricht der Künstler immer wieder durch die Klänge und Rhythmen, die verschiedene Geschichten (in einer Choreografie) aufs Neue übereinander lagern.

Ausbalancierte Dynamiken

Neben dem Einzelgänger zählt allein Faltenrock aus dem Jahre 2011 zu William Engelens Auseinandersetzung mit dem Thema Mobiles. Auf ähnliche Art und Weise tanzen hier 12 Faltenröcke zu Klängen durch den Raum. Faltungen, Farben und Muster der Röcke "falten" die Klänge und "rocken" in der Musik. Beide Arbeiten sind situationsspezifisch entstanden und zeigen eine künstlerische Raumdisposition, die den Betrachter in Bewegung hält und ihn nicht selten (ver)führt. Raumgreifend und nicht weniger intim ist William Engelens zweite Arbeit Trio für einen Raum (2014). Im Spannungsfeld zwischen Musik, Kunst und Performance erweist sich das Trio ebenso als ein Werk, das die Dreh- und Angelpunkte des Mobiles gleichermaßen in die räumliche, visuelle und auditive Ebene erstreckt. Vergleichbar den "Mobilegedanken" anderer Komponisten 2 schafft William Engelen einen kompositorischen Raum, der klangliche Angelpunkte setzt, den Ensemblemusikern aber einen Freiraum in der interpretativen Bewegung einräumt. In der Aufführung suchen die Musiker wie die bewegten Elementen eines Mobiles immer wieder nach Gleichgewicht, Schwere, Annäherung und Entfernung im Zusammenklang. Rauschdichten werden gegenübergestellt und ausbalanciert, bevor sie sich konkreten Tonhöhen annähern. Gleiches geschieht im Blick auf die Partituren bzw. Grafiken des Trios. Auch hier erkennt man ein Austarieren des "visuellen Rauschens" durch den Komponisten, doch steht es dem Einzelnen frei, sich im Blick den Einzelelementen zu nähern oder auf Distanz zu gehen und durch die eigene Gewichtung eine Dynamik anzustoßen.

Die Frage nach der Gewichtung und Schwere verschiedener Materialien in einer beweglichen, raumgreifenden Arbeit ist ein sehr junges Thema in William Engelens OEvre und wird in den Arbeiten der kommenden Jahre wieder zum Vorschein kommen. Nicht zuletzt entscheidet sich aber an den Dreh- und Angelpunkte eine Mobiles, ob die Elemente im Gleichgewicht sind, egal, ob im Narrativen, Visuellen, Materiellen, Räumlichen oder Klanglichen. Annäherung und Entfernung, Schwere und Leichtigkeit geben Impulse und versetzen die gesamte Konstellation erneut in Bewegung. Jean-Paul Sartre beschrieb Alexander Calders Mobiles nicht zu Unrecht als seltsame Wesen, "halb Materie, halb Leben".3

1 Jean-Paul Sartre brachte den Ausdruck der "Resonanz" in seinen Überlegungen zu A. Calders Mobiles ins Spiel. Dieser erweist sich mehr als treffend, da die Mobiles auf zwei Ebenen resonieren: einerseits nehmen sie kinetische Energien wie Impuls- oder Luftbewegungen auf und andererseits sind sie selbst "Resonanzkörper" für Klänge, die von außen auf das Mobile einwirken oder die die Elemente eines Mobiles selbst erzeugen. Die Dualität von kinetischer und auditiver Resonanz eröffnet dem Mobile besonders vielfältige Interaktionsmöglichkeiten mit dem Raum sowie der Umwelt und zeigt deutlich, dass das Auditive dieser Kunstform schon seit Anbeginn "mitschwingt" (vgl. Jean-Paul Sartre, Die "Mobiles" von Calder, in: Ders., Die Suche nach dem Absoluten. Texte zur bildenden Kunst, Reinbek: Rowohlt, 1999, S. 59.).

2 An dieser Stelle sei bspw. auf die Klavierwerke von Karlheinz Stockhausen (Klavierstück XI, 1956) oder Henry Pousseur (Mobile, 1958) verwiesen, wie auf Pli selon pli (für Sopran und Orchester, 1957-62) von Pierre Boulez und das Streichquartett (1964) von Witold Lutoslawski. Nicht zu vergessen ist auch Earle Browns Calder Piece (für Schlagwerk-Quartett, 1963-66), in dem ein Mobile Alexander Calders zum Chef d'Orchestre für die Musiker wurde. Diese Musikwerke des 20. Jahrhunderts sollen beispielhaft für all diese genannt sein, bei denen die offenen, mobilen Formen die kompositorische Grundlage bilden.

3 Jean-Paul Sartre, Die "Mobiles" von Calder, in: Ders., Die Suche nach dem Absoluten. Texte zur bildenden Kunst, Reinbek: Rowohlt, 1999, S. 62.